Grau ist alle Theorie?

Eine Antwort an den Philosophen Alexander Grau zum Artikel: https://www.cicero.de/kultur/68-68er-gesellschaft–hedonismus-marx-marcuse

Lieber Alexander Grau,
auch ich liebe die Sophie und manchmal den Cicero. Auch ich bin irgendwie einer der 68er, die es, so wie Sie es unterstellen, gar nicht als homogene Masse gibt. Überhaupt war ich von Ihrem Beitrag, gelinde gesagt, etwas enttäuscht. Aber Enttäuschungen können ja manchmal zu Klärungen beitragen.
Sie entfachen ein Bashing gegenüber einer ganzen Generation, der Sie Konsumbesessenheit unterstellen: „Tatsächlich war es der ideologische Freibrief für einen als antiautoritäres Selbstfindungsgetue getarnten Egoismus und grenzenlosen Konsum.“, behaupten Sie und fügen gleich noch hinzu, dass so etwas wie „egomane Selbstfindung“ zu „moralischer Selbstglorifizierung“ geführt habe. Und so weiter und fort.
Sie schreiben dort tatsächlich, „Doch die Studenten von 68 lasen nicht mehr Marx.“ Ja sie lasen auch Marcuse, Fromm, Adorno, Freud, ect. Es gab in der Zeit von und nach 1968 einen regelrechten Bildungsschub, hin zu aufklärerischer Theorie. Auch zu Marx.
Interessant wird es dort, wo Sie festlegen, dass „….zum einen setzen die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse, die mit 68 assoziiert werden, schon sehr viel früher ein.“ Das machen Sie geschickt, denn die von Ihnen sogenannten „Modernisierungsprozesse“ setzen schon weit davor an. Ist denn nicht die menschliche Gesellschaft schon immer in einem Modernisierungsprozess? Historische Daten werden immer von jenen gesetzt, die die Definitionsmacht haben.
Wo Sie Recht haben, werde ich nicht widersprechen. Die „Auslöser einer gesellschaftlichen Revolution, sondern deren Ergebnis.“ waren nicht die 68er. Allerdings handelte es sich auch nicht um eine Revolution, sondern bestenfalls um eine Revolte oder ein Aufbehren, welche/s auch nicht nur in Deutschland statt fand. Eine Revolte, ein Aufbegehren gegen die Heuchelei und Scheinheiligkeit großer Teile der Gesellschaft, oder der Elterngeneration.
Sehr viel informativer, auch sachlicher und ganz und gar nicht moralisch aufgeladen könnten Sie sich informieren duch die Schwerpunkt-Ausgabe der Jungle World Nr.51/52 2017 „Happy Birthday ’68“, in der kritische und positive Betrachtungen gleichmaßen berücksichtigt werden. (https://jungle.world/inhalt/2017/51)
Sehr geehrter Herr Grau, Sie zitieren KM: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, dass ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“.
Hier könnte/sollte die Diskussion beginnen, nämlich, ob Ursache oder Wirkung am Anfang stehen? „Henne oder Ei?“
Hätte es in der herrschenden politischen Klasse vor 68 so etwas wie die von Ihnen geforderte Selbstkritik gegeben, wären die Aufstände, Empörungen und Revolten gar nicht erst entstanden.
Es könnte doch vielleicht auch so sein, dass ein bestimmtes Bewußtsein die Dinge oder Gesellschaft verändert, ob moralisch, ethisch, interessengeleitet oder sachlich. Wichtig ist doch „was hinten raus kommt“ 🙂 und ob das in „unserem Sinne“ ist.
Cui Bono fragte schon Cicero.

Über Gerhard A. Kern

Autor und Referent, Verleger eines Selbstverlages, politisch parteiisch aber zur Zeit in keiner Partei. Motto: "Jede Wahrheit ist zu hinterfragen und Kritik sollte und darf immer schonungslos sein!"
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